Nürtinger Orgeltage - Eröffnungskonzert

Sonntag, 5. Oktober 08, 17 Uhr

KMD Stiftskantor Kay Johannsen, Stuttgart

Nürtinger Orgeltage - 2. Konzert

Sonntag, 12. Oktober 08, 17 Uhr, St. Johannes

Prof. Daniel Maurer, Straßburg

Nürtinger Orgeltage - 3. Konzert

Sonntag, 19. Oktober 08, 17 Uhr

DKMD Walter Hirt, Rottenburg

Nürtinger Orgelnacht

Samstag, 25. Oktober 08, 20 Uhr

Trio Voccord

Angelika Rau-Čulo, Michael Čulo und Andreas P. Merkelbach, Orgel

Die Orgelnacht entpuppte sich als Nacht der Kontraste

Das Trio Voccord wurde bei der Interpretation Alter Musik von Michael Čulo an der Truhenorgel (rechts im Bild) begleitet. Foto: Kern

In der Nürtinger Stadtkirche musizierten am Samstagabend Angelika Rau-Čulo, Andreas P. Merkelbach und das Trio Voccord

 

NÜRTINGEN. Durch ihre kontrastreiche Vielfalt wurde diese vierte Orgelnacht zu einem eindrucksvollen Abschluss der Nürtinger Orgeltage 2008. Dabei wirkten mit: die große Goll-Orgel, die kleine Mühleisen-Truhenorgel, eine Stimme, eine historische Gambe der Bachzeit, eine Laute und eine Erzlaute. An der großen Orgel spielten Andreas P. Merkelbach und Angelika Rau-Čulo mit überzeugendem Können und mitreißender Spielfreude. Einfühlsam spielte Michael Čulo an der kleinen Truhenorgel und begleitete sensibel das renommierte Nürtinger Ensemble für Alte Musik. Das Trio Voccord (Susann Finckh-Bucher, Sopran, Franziska Finckh, Viola da Gamba, und Wolfgang Daiß, Laute und Erzlaute), bildete mit seinem meditativen und ausdrucksstarken vokalen und instrumentalen Programm den größtmöglichen Kontrast zum Plenum der Orgel.

 

Gegensätzlich waren auch die Spielorte: Orgelempore und Altarraum, sie wurden vom Trio Voccord ins Spannungsfeld der vorgetragenen Werke sinnstiftend einbezogen. Jeweils 45 Minuten umfasste das Programm der einzelnen Teile, die, so war zu hören, wie im Flug vergingen. In den Pausen luden die Veranstalter im Chor der Kirche zu Sekt und Häppchen ein.

 

Unterschiedlich und vielfältig waren auch die drei Teile des Programms. Der Abend begann mit Johann Sebastian Bachs ernstem, wuchtigem, von Andreas P. Merkelbach getragen gespielten Präludium und Fuge in c-Moll, entstanden zwischen 1717 und 1730. Die vollen, über tiefem Orgelpunkt gesetzten spannungsgeladenen Eingangsakkorde der ersten vier Takte stellte er eindrucksvoll in den Raum und entfaltete dann die Struktur Bach’scher Musiksprache zu einer beeindruckenden Ouvertüre der Orgelnacht, deren erster Teil heiter endete. Merkelbach, Kantor und Organist der Johanneskirche, hatte dafür den Marsch „Blaze Away“ des Amerikaners Abe Holzmann in der Bearbeitung für Orgel aus dem Jahr 1901 gewählt. Gleichsam in barocker Lust verwandelte er die Orgel in eine Karussellorgel und inszenierte ein dem Titel des Stückes entsprechendes drauflos feuerndes Orgelwerk.

 

Den Zwischenteil bildeten die reizvollen frühbarocken, luzide und feinsinnig, verschiedenfarbig transparent registrierten, rhythmisch-tänzerisch und mit großer Leichtigkeit gespielten Variationen über eine Gagliarda John Dowlands von Samuel Scheidt, dem Hallenser Hofkapellmeister und Organisten. Kontrastierend dazu die „Pièce héroique“ von César Franck mit ihrem expressiven Duktus und einem apotheoseartig gewaltigen lang gehaltenen Schlussakkord. Mit Karl Jenkins, einem walisischen Komponisten, dessen Musiksprache durch die Verbindung unterschiedlicher Genres geprägt ist, leitete Merkelbach dann zum heiteren Teil über.

 

„Maria. Magdalena. Maria“ war der programmatische Bogen des zweiten Teils mit Alter Musik. Susann Finckh-Bucher gestaltete die Lobgesänge und die Klagen musikalisch sehr sensibel mit ihrer tragenden, weichen, klar konturierten Stimme. Das Marienbild einer Hildegard von Bingen wurde so eindringlich wie das ausdrucksvolle Magnificat des italienischen Barockkomponisten Bernardi, ebenso die Mariengesänge aus einer spanischen Liedersammlung des 15. und 16. Jahrhunderts mit ihren hohen Anforderungen an den melismatischen Gesang. Im tieftraurigen, zugleich dramatischen „Stabat Mater“ von Giovanni Felices Sances – eine Erstaufführung dieses Werks in Nürtingen – zeigte die Künstlerin ihre hohe Kunstfertigkeit in der vokalen Gestaltungsbreite. Wolfgang Daiß entfaltete den Klang der Laute in der nuancenreich und dynamisch vorgetragenen „Fantasie“ von Alonso de Mudara. Er begleitete durchgängig mitempfindend und setzte die Erzlaute gekonnt als Begleiter in einen klangfarbig spannenden Kontrast zum Continuo der Truhenorgel. Deren Klangintensität und weiche Klangfarbigkeit arbeitete Michael Čulo in Frescobaldis meditativ angelegter „Toccata Quarta“ empfindsam heraus. Aus dieser Stimmung entwickelte dann die Sängerin die „Magdalena am Fuße des Kreuzes“ vom gleichnamigen Komponisten. Das Kruzifix über dem Chorgitter machte die Interpretation augenfällig.

 

Franziska Finckh gestaltete ihren Part in der Gambensonate über eine Liedmelodie von Philipp Friedrich Boeddecker wie auch in Corellis Sonate Nr. 6 für Viola da Gamba spieltechnisch gekonnt. Sie beeindruckte durch ihre Sensibilität, barocke Musik auf der historischen Gambe mit ihrer besonderen Klangfarbigkeit zum Tönen zu bringen.

 

Dem preziosengleichen Mittelteil der Orgelnacht folgte der fulminante letzte Teil mit Angelika Rau-Čulo an der Goll-Orgel. Strahlend hell entwickelte sie die 1844/45 komponierte Sonate A-Dur op. 65,3 von Felix Mendelssohn-Bartholdy wirklich con moto maestoso. Sie spielte den ersten Satz in seiner romantischen Fülle und Breite voll aus, zugleich seine elegischen Aspekte präzise herausarbeitend und durch die Registrierung den Facettenreichtum der späten Sonate eindrucksvoll interpretierend. Der 94. Psalm in c-Moll von Julius Reubke, einem Liszt-Schüler, ist eine großangelegte Orgelsonate, die einer symphonischen Dichtung gleichkommt. Sie wurde von der Bezirkskantorin ausdrucksvoll gespielt. An keiner Stelle war die hohe technische Schwierigkeit dieses Werkes zu hören. Eindrücklich und mit großer Registrierungskunst arbeitete Rau-Čulo die unterschiedlichen Gemütslagen derer, die in diesem Psalm ihren Hilferuf gegen die Unterdrücker des Volkes Gottes formulieren, heraus. Insgesamt waren die drei Stunden ein eindrucksvoller Abschluss der gut besuchten Nürtinger Orgeltage 2008.

Helmuth Kern

Quelle: NTZ 28.10.2008