Konzert zum Abschluss des Weihnachtsmarktes

Der Nürtinger Weihnachtsmarkt, vom 4. bis 13 Dezember 2009 wieder rund um die Stadtkirche, wurde beendet durch das Konzert zum Abschluss des Weihnachtsmarkts, das den Titel „Macht hoch die Tür“ trug und am Sonntag, 13. Dezember um 19 Uhr in der Stadtkirche St. Laurentius stattfand. Die drei Ensembles Nürtinger Kammerchor, Kirchenchor St. Johannes  Nürtingen und die Nürtinger Kantorei sangen Chorwerken von Hammerschmidt, Schütz, Bach, Brahms und Poulenc und großartige Kompositionen zur Adventszeit von Reger und Mendelssohn Bartholdy, bei denen die drei Chöre zu einem großen Chor verschmolzen. Ein Hörerlebnis der besonderen Art! Zwischen den Chorwerken erklangen Orgelwerke von Karg-Elert, einem der wichtigsten deutschen Komponisten der Spätromantik. Die Leitung hatten Hans-Peter Bader, Andreas P. Merkelbach, Angelika Rau-Čulo und Michael Čulo.

Das Weihnachtskonzert lockte die Massen

Chor- und Orgelmusik zum Abschluss des Weihnachtsmarkts. Foto: itt

Vier Nürtinger Chöre gestalteten am Sonntag das Konzert zum Abschluss des Weihnachtsmarkts – Kirche platzte aus allen Nähten

 

VON GÜNTER SCHMITT

 

NÜRTINGEN. Dass sich Menschenschlangen vor einer Kirchentür stauen, ist ein seltener Anblick geworden. Aber am Sonntagabend wurde er vor der Stadtkirche St. Laurentius Wirklichkeit. Als Publikumsmagnet erwies sich das Konzert zum Abschluss des Weihnachtsmarkts. Vier Ensembles präsentierten sich unter dem Motto „Macht hoch die Tür“.

 

Das Echo auf die Veranstaltung widerlegte alle Unkenrufe, dass Weihnachten nur noch eine Sache von Kommerz und Kaufwut sei. Schon eine Stunde vor Erklingen des ersten Tons stand eine satte Gruppe von Besuchern vor der Kirchentür. Als die Pforten zu St. Laurentius um halb sieben geöffnet wurden, dauerte es nur kurze Zeit, bis im Kirchenschiff kein freier Platz mehr zu haben war. Michael Čulo, der sich mit seiner Frau Angelika das Bezirkskantorat teilt: „Wir sind überwältigt.“ Mesnerin Gudrun Jaschke sah sich in größten Nöten, weil immer weitere Besucher kamen, denen sie keinen Platz mehr anbieten konnte.

 

So musste mit dem Chor nicht nur auch der Raum hinter dem Altar für die Besucher freigegeben werden, es waren auch die letzten Stuhlreserven hereinzutragen. Es reichte trotzdem nicht. Wer nicht stehen wollte, musste durch die Tür, die er hereingekommen war, auch wieder hinausgehen. Das hatte es schon lange nicht mehr gegeben. Vielleicht war der Andrang auf das Ende des Weihnachtsmarktes zurückzuführen, vielleicht lag es aber auch an dem simplen Verlangen, weihnachtliche Stimmung ohne alles Beiwerk zu erleben. Nicht umsonst wird, wenn es um Weihnachten geht, vom frohen Fest gesprochen. Und es gibt kaum etwas, das so unverfälschte Freude bereiten kann wie die Musik.

 

Es gibt nur wenige Komponisten, denen Weihnachten nicht Anlass war, ihren Gefühlen Ausdruck zu geben, Weihnachten als Quelle der Inspiration. So stand am Sonntagabend in St. Laurentius Gemütvolles neben polyphoner Raffinesse und meditativer Besinnlichkeit. Weil immer mal wieder die Besucher zum Mitsingen aufgefordert waren, wurde das Konzert über Strecken zu einem wahren Weihnachtssingen. Das Programm enthielt Werke von so verschiedenen Komponisten wie Hammerschmidt, Schütz, Bach, Brahms, Poulenc, Mendelssohn-Bartholdy und Karg-Elert.

 

Zwischen den Chorkompositionen erklangen, gespielt im Wechsel von Angelika Rau-Čulo und Michael Čulo, Orgelwerke von Sigfrid Karg-Elert, einem Kantor und Komponisten, der 1933 dem Druck aus der Politik nicht mehr gewachsen war und sich in jungen Jahren das Leben nahm. Bei den einzelnen Abschnitten aus seiner Orgelsuite „Cathedral windows“ handelt es sich um ein graziles Spiel mit Farbwerten. Ganz selten überschreitet die Musik den Duktus einer meditativen Getragenheit. Wie modern alte Musik klingen kann, zeigte im Gegenzug der gregorianische Choral „Freuet euch in dem Herrn“, gesungen von der Schola Gregoriana Nürtingen unter der Leitung von Andreas Merkelbach, dem Kantor von St. Johannes. Wie traditionsgesättigt ein Francis Poulenc schreiben konnte, ohne Scheu selbst vor einem triumphierenden Halleluja, zeigte der Nürtinger Kammerchor unter der Leitung von Hans-Peter Bader anhand der Kompositionen „Quatre motets pour le Temps de Noël“.

 

Nach knapp zwei Stunden, die Nacht hatte sich längst über die Dächer der Stadt gesenkt, hatte das Konzert sein Ende gefunden. Die Kantorei von St. Laurentius, die Schola Gregoriana Nürtingen, der Nürtinger Kammerchor und der Kirchenchor von St. Johannes hatten demonstriert, was in Nürtingen an chorischen Qualitäten steckt, wenn es um Kirchenmusik und das klassische Genre geht. Nur Musik kann auf solche Weise vom Alltag entheben. Selbst ein so weltlich ausgerichteter Komponist wie Igor Strawinsky meinte am Abend seines Lebens, dass es vielleicht doch besser gewesen wäre, wenn er sein Leben und Komponieren dem Lobe Gottes geweiht hätte, wie es Johann Sebastian Bach getan hat.

Den Ausführenden galt ungeteilter Beifall. Auch ohne Orchester kann über die gewohnten Ausdrucksgrenzen hinausgegangen werden.

NTZ, 15.12.2009

Kantatengottesdienst zum Christfest

Samstag, 26. Dezember, 10.15 Uhr

J. S. Bach: „Herrscher des Himmels, erhöre das Lallen“, BWV 248,3

 

Solisten, Nürtinger Kantorei,

Orchester der Stadtkirche

Leitung: Angelika Rau-Čulo

"flautando"

Konzert zur Jahreswende

Donnerstag, 31. Dezember 09, 22 Uhr

Die letzten Stunden des Jahres 2009 konnte man mit wunderbarer Musik für Flöte und Orgel, gespielt von Amanda Chominsky und BK Michael Čulo, in der besonderen Atmosphäre der Stadtkirche genießen. Auf dem Programm standen Werke von J. S. Bach, G. Fr. Händel, J. Alain, C. Debussy, E. Bloch sowie zwei Uraufführungen von M. Čulo.

Die Flötistin Amanda Chominsky studierte Bachelor und Master of Music in Sydney, erwarb ihre künstlerische Ausbildung in Trossingen und absolvierte das Solistendiplom in Maastricht. Sie konzertiert rege als Solistin, Kammermusikpartnerin und in Orchestern im In- und Ausland.

Die Mysterien der Musik entfaltet

Amanda Chominsky und Michael Čulo beim Konzert zur Jahreswende in der Stadtkirche. itt

Das Konzert zur Jahreswende in der Nürtinger Stadtkirche war sehr gut besucht

 

VON GÜNTER SCHMITT

 

NÜRTINGEN. Es war wie eine Demonstration der Möglichkeiten, die es gibt, den letzten Stunden im alten Jahr Bedeutung zu verleihen und sie der Routine des Alltags zu entreißen. Während draußen in Abständen das Donnern von Feuerwerkskörpern das Kommen des neuen Jahres ankündigte, ging es in der Kirche um das Entfalten der Mysterien der Musik. Bezirkskantor Michael Čulo (Orgel) und die Australierin Amanda Chominsky (Flöte) hatten in die Stadtkirche zu einem Konzert zur Jahreswende eingeladen.

 

Dass es viele Menschen schätzen, das alte Jahr mit Musik ausklingen zu lassen, zeigte der gute Besuch der Veranstaltung. In der Kirche auf dem Bergsporn über dem Neckar war kaum ein Platz frei geblieben. Das Programm enthielt Werke von Händel, Jehan Alain, Bach, Ernest Bloch und von Bezirkskantor Michael Čulo selbst. Einem von ihnen, Händel, hatte die Musikwelt im letzten Jahr anlässlich eines 250. Todestages besondere Aufmerksamkeit gezollt. Im neuen Jahr steht geradezu eine Lawine von Komponistenjubiläen an mit Hugo Wolf, Robert Schumann, Gustav Mahler, Giovanni Pergolesi, Alban Berg und Frederic Chopin.

 

Die Kombination von Flöte und Orgel mag auf den ersten Blick vielleicht nicht jedem als ideal erscheinen, aber eben nur auf den ersten Blick, denn in Wirklichkeit handelt es sich um verwandte Instrumente, besteht die Orgel im Prinzip doch aus einer enormen Bündelung des Bläserinstrumentariums.

 

Was die Flöte bedeuten kann, demonstrierte Amanda Chominsky auf überaus beeindruckende Weise. Ihr Spiel ist makellos, warm und elegant. Mit ausgeprägtem Gespür für die Farbwerte durchwandert sie die verschiedenen Welten und Stile der einzelnen Komponisten. Ihr Eingehen auf die Anforderungen der einzelnen Werke kennt selbst dort kein Straucheln, wo die melodische Linie die Grenzen der Artistik streift.

 

Eine der großen Katastrophen des an Katastrophen reichen 20. Jahrhunderts war im letzten Weltkrieg der Tod auf dem Schlachtfeld des gerade 29-jährigen Jehan Alain. Die „Trois mouvements“, die in der Stadtkirche zu hören waren, zählen vielleicht nicht zu seinen bedeutendsten Werken, aber er hat einzelne Musiken geschrieben, die zu den größten Hoffnungen berechtigten. Jehan Alain hätte ein ganz Großer werden können.

 

Der Bach, der anschließend zu hören war, ließ erkennen, dass Alain sich eher an der deutschen Orgelkultur als an der seiner französischen Heimat orientierte. Es ist ein inniges, sich streng aller Äußerlichkeiten enthaltendes Musizieren.

 

Das Zusammenspiel von Organist und Flötistin war von einer Harmonie geprägt, als hätten sie nie etwas anderes getan. Mit peinlicher Sorgfalt achtete Michael Čulo darauf, dass die Macht der Orgel den Ton der Querflöte nicht überdeckte. Das Duettieren erreichte in seinen gelungensten Augenblicken die Schwerelosigkeit einer delikaten Eleganz.

 

Vor allem in den langsamen Sätzen der zwei Sonaten von Händel kam es zu einem Duettieren von einer Wärme und klanglichen Schönheit, wie es nicht alle Tage zu hören ist. Händel war, ganz im Gegensatz etwa zu Bach, ein Mann von Welt. Ihn zog es wie von selbst nach London, schon damals die Kapitale des Geldes, wo er sein Glück machte, ein Vermögen anhäufte und schon zu Lebzeiten großen Ruhm erntete.

 

Den Mittelteil des Konzerts bildeten Eigenkompositionen von Kantor Michael Čulo. Im Grunde sind es Variationen über verschiedene Themen. Er geht dabei von drei Stücken aus, von „Maria durch den Dornwald ging“, „Es kommt ein Schiff geladen“ und „Es ist ein Ros entsprungen“. Es ist das Weihnachtsgeschehen, das die drei Stücke verbindet.

 

Manchmal begnügt sich die Orgel mit einem Murmeln

 

Über weite Strecken liegt die Betonung auf der Flöte, die sich zuweilen in rätselvollen Kreisbewegungen psalmodierend weit über die Begleitung an der Orgel hinausschwingt.

 

Hinter der kunstvollen Verarbeitung sind die Motive, die dem Werk zugrunde liegen, über weite Strecken nur noch zu erahnen. Manchmal begnügt sich die Orgel mit einem leisen Murmeln. Tänzerisch bewegte Abschnitte wechseln mit schmückenden Girlanden und Akkordbrechungen. Nur der Schluss bringt ein Choralzitat ganz ohne Schnörkel und Verzierungen. Wie üblich bei neuerer Musik, will sich das Werk auf das erste Hören hin nicht ganz erschließen. Neue Musik stellt neue Anforderungen.

 

Den Abschluss bildete die „Suite modale“ von Ernest Bloch, einem in Genf geborenen Komponisten, der 1916 in die USA übersiedelte. Es ist eine eingängige, im ursprünglichen Sinne schöne Musik, ohne alle Schärfen und Dissonanzen, wechselnd zwischen Spätromantik und den impressionistischen Farbspielen eines Claude Debussy.

 

Es war ein so versöhnlicher wie liebenswürdiger Ausklang eines in Nürtingen an musikalischen Veranstaltungen überaus reichen Jahres. Die Besucher dankten für das hohe Niveau des Konzerts mit lebhaftem Beifall – eine Zugabe.

NTZ, 02.01.2010