Stummfilm und Orgel

Freitag, 2. Oktober 09, 20 Uhr

Auftakt zum Tag der Stadtkirchenorgel 

Der Stuttgarter Bezirkskirchenmusiker Johannes Mayr improvisiert live zu Friedrich Wilhelm Murnaus Meisterwerk „Faust – Eine deutsche Volkssage“ (1926).

Bilder von Liebe und Tod

Johannes Mayr verlieh dem Stummfilm „Faust“ dramatische Tiefe

 

NÜRTINGEN (heb). „Der Mensch ist gut – er strebt nach der Wahrheit“, so die himmlische Sicht der Schöpfungskrone. Der Teufel sieht das etwas anders und riskiert eine Wette mit der Zentrale der Macht. Es geht dabei um nicht weniger als die Weltherrschaft – und die Seele des Doktor Faust. 

 

Die Nürtinger feierten am Wochenende den fünften Geburtstag der Goll-Orgel in ihrer Stadtkirche St. Laurentius und der sagenhafte Doktor aus Knittlingen feierte mit – in Form des Stummfilms „Faust – eine deutsche Volkssage“, den Friedrich Wilhelm Murnau 1926 mit Gösta Ekman in der Hauptrolle und Emil Jannings als Mephisto gedreht hatte. Dazu improvisierte der Stuttgarter Organist Johannes Mayr die Begleitmusik, wie das früher in den Kinos mit Harmonium oder Klavier, in großen Häusern schon auch mal mit einer kleinen Orgel praktiziert wurde.

 

Und der Kirchenmusiker machte seine Sache gut, unterstrich musikalisch die von Murnaus Kamera- und Lichtführung geprägte Dramatik der Bilder von Pest und Tod, von Messer und Mord, von zartem Frühling und eisigem Winter, von Liebe und Tod. Es muss sich eine Art Sympathie im Empfinden des Kirchenmannes an der Orgel für Emil Jannings’ Mephisto entwickelt haben, der im Gegensatz zu Goethes Satansfigur mit aufklärerischen Zügen und einer scharfen Disputantenzunge bei aller Boshaftigkeit eine schelmische Tölpelhaftigkeit entwickelt, vergleichbar vielleicht der Figur des Waldgeistchens Puck in Max Reinhardts „Sommernachtstraum“. Geistreiche Sätze wie Goethes Mephisto, der sich selbst charakterisiert als „Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft“, wären Jannings’ Teufelsinterpretation auch dann fremd, wenn er eine Tonspur zur Verfügung gehabt hätte. Murnaus Darstellung des Bösen folgt eher den mittelalterlichen Vorstellungen von Monstrosität einerseits und einer Schalkhaftigkeit andererseits, wie sie der Gaukler auf den Jahrmärkten an den Tag legt, um die Menschen zum Lachen zu bringen.

 

Johannes Mayr machte seine Sache als Filmbegleiter sehr gut, vielleicht zu gut. Denn sein eigener Sinn für Dramatik, für die Ausformulierung von Murnaus Bildersprache mit den musikalischen Mitteln seines Instruments, ließ Optik und Gehörtes stellenweise so sehr in eines zerfließen, dass sie fast nicht mehr auseinanderzudividieren waren. Man musste sich schon fest vornehmen (und sich während der Vorführung immer mal wieder in den Arm zwicken), dass man darauf achten wolle, wie sich die Orgel denn im Vergleich schlagen werde und welche Stilmittel Mayr für welche Situation zur Anwendung bringen werde.

NTZ, 5.10.2009

Orgel und Orchester

Samstag, 3. Oktober 09, 11 Uhr

Orgelkonzerte von G. F. Händel und J. Haydn mit Walter Schuster und seinem Nürtinger Kammerorchester und Kammermusik von J. G. Rheinberger mit Birgit Schuster (Violine) und Elsabe Krause (Violoncello). An der Orgel war jeweils Bezirkskantor Michael Čulo.

Ein Geschenk zum Orgel-Geburtstag

„Orgel und Orchester“: Das NKO und Michael Čulo musizierten gemeinsam

 

NÜRTINGEN. Einen festlicheren und gelungeneren Auftakt als den des Nürtinger Kammerorchesters am Tag der Stadtkirchenorgel hätte es nicht geben können. Zu Beginn des Konzertes „Orgel und Orchester“ um 11 Uhr erklang das „Concerto d’organo“ in B-Dur von Georg Friedrich Händel. Die farben- und kontrastreichen Wechsel von Orgel und Streichern ließen nahezu keine Wünsche offen. Unter der Leitung von Walter Schuster erwies sich das Kammerorchester mit seinen dynamischen und artikulatorischen Feinheiten als kongenialer Partner von Bezirkskantor Michael Čulo, der seinen Part bravourös meisterte. Besonders die einfallsreichen und vielfältigen Registrierungen ermöglichten es den Zuhörern, alle Klangfarben der Goll-Orgel wahrzunehmen.

 

Zentral platziert war die Suite c-Moll für Orgel, Violine und Violoncello von Josef Gabriel Rheinberger, eine der bedeutendsten Lehrerpersönlichkeiten des 19. Jahrhunderts. Schon die ersten kraftvollen und voluminös gestalteten Töne von Birgit Schuster (Violine), Elsabe Krause (Violoncello) und Michael Čulo (Orgel) nahmen die Zuhörer mit in die Welt der deutschen Romantik. Mit Fingerspitzengefühl und gut geführter Agogik spannten die drei Kammermusikpartner den Bogen über dieses viersätzige Werk. Dass die Goll-Orgel in der Stadtkirche auch über derart differenzierte und aussagekräftige Orchesterfarben verfügt, war sicher für manchen Zuhörer eine überraschende Hörerfahrung und ließ durch die Klangfülle gelegentliche Intonationstrübungen bei den Streichern schnell wieder vergessen. Mit seinen unterschiedlichen und charakteristischen Satztypen hätte es dieses wunderbare Werk verdient, öfter in Kirchen und Konzertsälen gespielt zu werden. Dass es bei den Hörern gut ankommt, zeigte der spontane Szenenapplaus in der Nürtinger Aufführung.

 

Den Abschluss des Konzerts bildete das Orgelkonzert C-Dur von Joseph Haydn. Walter Schuster gelang es mit seinem Nürtinger Kammerorchester, Leichtigkeit, Witz und Esprit dieses Solokonzertes mit Streicherbegleitung durchsichtig und transparent darzustellen. Die Orgel nahm die Motive gekonnt auf und führte diese mit Trillern und Verzierungen zur Vollendung.

 

Großer Dank der rund 400 Besucher, darunter auch Abgeordnete des Landtags, an die Solisten Birgit Schuster und Elsabe Krause, das Nürtinger Kammerorchester und Walter Schuster für dieses „Geschenk“ zum Orgel-Geburtstag und auch an Michael Čulo, der einmal mehr die Farbenvielfalt und Klangpracht seiner „Königin der Instrumente“ zeigen konnte. Mit diesem Konzert wurde wieder einmal deutlich, dass Kooperationen möglich sind und vom Publikum dankbar angenommen werden. Schade nur, dass seitens der Stadt es kein Vertreter möglich machen konnte, an diesem besonderen Tag in der Stadtkirche anwesend zu sein.

NTZ, 15.10.2009

Orgelkonzert für Kinder

Samstag, 3. Oktober 09, 13 Uhr

Sergej Prokofjews Märchen „Peter und der Wolf“ mit Markus Schneider und Bezirkskantorin Angelika Rau-Čulo.

Der mutige Peter fängt den Wolf

In der Stadtkirche gab es auch Orgelmusik für Kinder

 

NÜRTINGEN (pm). Zum fünften Geburtstag der Goll-Orgel in der Stadtkirche kamen nicht nur Erwachsene in insgesamt acht Veranstaltungen auf ihre Kosten. Auch an die kleinen Zuhörer hatten die Nürtinger Bezirkskantoren gedacht und zu einem „Orgelkonzert für Kinder“ eingeladen. Auf dem Programm stand das eigentlich für Orchester komponierte musikalische Märchen „Peter und der Wolf“ von Sergej Prokofjew, das Angelika Rau-Čulo in einer Bearbeitung für die Orgel interpretierte.

 

Der Bezirkskantorin zur Seite, vielmehr vorne auf der für die darauffolgende Veranstaltung aufgebauten Bühne, stand Markus Scheider, Buchhändler im Roten Haus, der durch zahlreiche Lesungen in Nürtingen längst kein Unbekannter mehr ist. Mit viel Witz und sprachlicher Raffinesse zog er die jungen und jung gebliebenen Gäste dieses Orgelgeburtstags mit der Geschichte des kleinen Peter in den Bann, dessen kleiner Freund, der Vogel, sich, statt von der Katze zum Frühstück verspeisen zu lassen, lieber auf einen Disput mit der Ente einlässt. Jeweils der andere sei ein „doofer Vogel“ hieß es da, weil die Ente nicht fliegen und der Spatz nicht schwimmen könne. Als die Ente mit einem Happs des Wolfs verschlungen war, machte sich der mutige Peter ans Werk, ihn zu fangen, und brachte danach den müden Wolf mit den hasenfüßigen Jägern und seinen tierischen Freunden, die sich schon den Schabernack für den nächsten Tag überlegten, zurück in den Wald. Damit gab Markus Schneider der ursprünglichen Geschichte, in der es dem Wolf ergeht wie immer im Märchen, eine neue und sympathischere Wendung.

 

Angelika Rau-Čulo demonstrierte den Farbenreichtum ihrer Orgel, charakterisierte so unterschiedlich wie treffend den Vogel mit der tirilierenden Flöte, die Ente mit dem quakenden Krummhorn, den Großvater mit dem knatternden Fagott und den Wolf durch die mächtigen Trompeten und meisterte die Tücken der Bearbeitung – sie musste ja alleine spielen, wofür sonst ein ganzes Sinfonieorchester zur Verfügung steht – mit Verve und Bravour. Und auch das Zusammenwirken von Erzähler und Orgel war, trotz der großen Distanz, perfekt aufeinander abgestimmt und wirkte mühelos und unangestrengt.

 

Die Besucher dankten es den beiden Künstlern denn auch mit lang anhaltendem Beifall. Und die Ente? Die freute sich, ungestört verreisen zu können, und streckte zu aller Amüsement dem Wolf in dessen Bauch die Zunge raus.

NTZ, 09.10.2009

Orgel trifft Tanz

Samstag, 3. Oktober 09, 15 Uhr

Eine zeitgenössische Tanzperformance, die sich dem Zusammenwirken von Orgelmusik, Kirchenraum und Tanz widmet.

Auf dem Programm standen eine Reihe von Musikstücken, die mit dem Tanz in Verbindung stehen: sei es in rein musikalischer Hinsicht oder dass die Musik mit Tanz einen weiteren künstlerischen Ausdruck findet.

Rose Reich, Studium der evangelische Kirchenmusik in Stuttgart, Orgelkurse bei Heiller, Radulescu, Alain, seit 1978 Organistin in Calw.

Christine Lang-Genthner, Birgit Kohlhase und Monica Schwarzenthal sind freischaffende Tänzerinnen, Choreographinnen und Tanzpädagoginnen. Sie treten seit Jahren bei vielen Projekten gemeinsam auf.

Orgel traf Tanz

NÜRTINGEN (pm). Rund 60 Besucher ließen sich jüngst am Tag der Stadtkirchenorgel zum Projekt „Orgel trifft Tanz“ in die Stadtkirche St. Laurentius locken. Sie wurden dort mit einer zeitgenössischen Tanzperformance, die sich dem Zusammenwirken von Orgelmusik, Kirchenraum und Tanz widmete, überrascht und in den Bann gezogen.

 

Das Orgelwerk „Trivium“ von Arvo Pärt, zu dem sich die Tänzerinnen von verschiedenen Seiten her durch den Kirchenraum tasteten, stand am Beginn des Konzerts. Zu den statischen Orgelklängen bewegten sich die Tänzerinnen Christine Lang-Genthner, Birgit Kohlhase und Monica Schwarzenthal mit weichen Bewegungen und individuellen Formen langsam auf den nach vorne erweiterten Altarraum zu. Dabei entstand eine mystische und hoch gespannte Stimmung in der von der Mittagssonne durchfluteten Stadtkirche.

 

Besonders beeindruckend war die Darstellung des Zyklus „Vier biblische Tänze“ von Petr Eben, bestehend aus „Davids Tanz an der Bundeslade“, „Tanz der Shulamit“, „Tanz von Jephtas Tochter“ und „Hochzeit zu Kana“. Rose Reich zeigte sich dabei als herausragende Organistin mit einer unglaublich inspirierten, ausdrucksstarken und genialen Interpretation. Die Tänzerinnen ermöglichten den Zuhörern durch ihre emotionale und intensive Choreografie, sich neuen Welten öffnen und damit Zeit und Raum überwinden zu können. Den Veranstaltern sei gedankt, dass sie den Mut zu einer solch neuen, ungewohnten und außergewöhnlichen Veranstaltung hatten und so eine ganz neue Seite von Musik und Tanz im Kirchenraum ermöglichten – und das mit solch herausragenden Künstlerinnen, die auf besondere Weise Glaubensinhalte erlebbar gemacht haben.

NTZ, 09.10.2009

Orgel-Einblicke

Samstag, 3. Oktober 09, 17 Uhr

Vorführung des Films zum Aufbau der Orgel von Manfred Buck und Gelegenheit, mit dem Erbauer Simon Hebeisen ins Gespräch zu kommen.

Goll-Orgel interessierte

NÜRTINGEN (pm). Rund 30 Besucher nutzten die Gelegenheit zu den „Orgel-Einblicken“ beim Tag der Stadtkirchenorgel am 3. Oktober. Nach den einleitenden Worten von Bezirkskantorin Angelika Rau-Čulo folgte die Zuhörerschaft gespannt dem Film über den Aufbau der Goll-Orgel, den Manfred Buck mit Liebe zum Detail zusammengestellt hatte. Die Bilder vom Entladen der Orgel-Einzelteile und Pfeifen, dem Transport all dessen auf die Orgelempore, von der großartigen, handwerklichen und körperlich schweißtreibenden Kunst der Orgelbauer, alle Teile wieder zu einem großen Ganzen zusammenzusetzen, vom Intonieren der Pfeifen ließ bei manchem Zuhörer die sehr emotionalen Momente von damals wieder aufleben.

 

Im zweiten Teil der „Orgel-Einblicke“ nahm Orgelbaumeister Simon Hebeisen, der Vater der Goll-Orgel, die Besucher mit auf die Empore und erzählte dort mit Hingabe und Freude über Entstehungsprozess, Disposition, Aufbau und Klangfarben dieses großartigen Instrumentes. Die Zuhörer nahmen die Gelegenheit wahr, ihre Fragen und Anmerkungen beim Fachmann loszuwerden und endlich all jenes zu erfahren, was sie im Bezug auf die Goll-Orgel schon immer einmal wissen wollten.

NTZ, 15.10.2009

Orgel und Chor

Samstag, 3. Oktober 09, 19 Uhr

Die Nürtinger Kantorei musizierte mit den renommierten Solisten Fani Antonelou (Sopran), Kai Wessel und Matthias Lucht (Alt), Thomas Scharr und Krešimir Stražanac (Bass) und dem Barockorchester „Collegium Musicum“ unter der Leitung von Michael Čulo das „Queen Caroline Te Deum“ von G. F. Händel und „Hail, bright Cecilia!“ von H. Purcell.

Cäcilia gepriesen – die Orgel geehrt

Ode an Cäcilia: britischer Barock in der Nürtinger Stadtkirche Foto: Holzwarth

Der Königin der Instrumente wurde mit einem gelungenen Barockkonzert gratuliert

 

VON PHILIPP SANDROCK

 

Die Ode an Cäcilia, die Schutzpatronin der Kirchenmusik, war der glanzvolle Höhepunkt eines Barockkonzerts am Samstag in der Stadtkirche St. Laurentius. Unter der Leitung von Michael Čulo versetzten eine hervorragende Kantorei und das Barockorchester Collegium Musicum die Zuhörer ins England des 17. und 18. Jahrhunderts. Fünf Jahre wurde die Goll-Orgel alt, und so wurde ihr zu Ehren ein ganzer Tag der Orgelmusik gewidmet.

 

Den Auftakt bildete Georg Friedrich Händels Te Deum „Queen Caroline“, das einen kleinen Vorgeschmack auf das bot, was folgte: Die Personifizierung der Orgel ist die Heilige Cäcilia, die als Schutzpatronin der Kirchenmusik sinnbildlich für die Königin der Instrumente steht. Die „Wundersame Musikmaschine“, wie sie in Henry Purcells Cäcilienode genannt wird. „Du bist in dir selbst allein ein Konzert von ihnen allen“ – Cäcilia und das Instrument verschmelzen miteinander.

 

Stellenweise klingt Purcells Ode beinahe modern, wenn die „Musikmaschine“ in einem Rhythmus zu stampfen beginnt, der den Zuhörer in die Zeit der Industrialisierung versetzt. Man muss schon zweimal hinschauen: 1692 wurde das Stück geschrieben – eine Zeit, in der an Dampfmaschinen noch nicht zu denken war.

 

Die Solisten fügten sich nahtlos in das Ensemble ein. Insbesondere die beiden Bässe Thomas Scharr und Krešimir Stražanac überzeugten ebenso wie Countertenor Kai Wessel. Ob sie musikalisch durch die Wälder Britanniens streiften oder sich mit „belaubten Schwingen“ zum Himmel empor schwangen. Von Fanie Antonelous’ wunderschönem Sopran hätte man sich gewünscht, dass er öfter erklingt.

 

Zur Einstimmung auf das große Orgelsolo von Angelika Rau-Čulo erklangen die Solisten von der Empore – von wo sonst hätte man die „himmlischen Klänge“ auch erwarten sollen. Bläser und Pauken trieben Countertenor Matthias Lucht an, darüber zu sinnieren, wie all das Kriegs-Instrumentarium der Menschen der Macht der Musik unterlegen sei. Es war jedoch über einige Strecken schwer, der Aussprache des sonst überzeugenden Sängers zu folgen, der erst im letzten Drittel des Konzertes so richtig zeigte, was er kann.

 

Dirigent Michael Čulo hatte sein Ensemble perfekt im Griff. Bei der Nürtinger Kantorei stimmte am Samstag einfach alles. Mit einem wunderschönen Konzert brachte der Chor seiner Orgel ein Ständchen, das dem Titel der Cäcilienode sinngemäß mehr als gerecht wurde: „Sei gegrüßt, strahlendes Geburtstagskind!“

 

Vielleicht hätten die Musiker dem Publikum doch noch einen kleinen Wunsch erfüllen sollen: Nach einer Stunde Konzert und minutenlangem Applaus verharrten alle für einen kurzen, erwartungsvollen Moment in absoluter Stille. Erst dann war klar: es folgt keine Zugabe. Schade.

NTZ, 05.10.2009

Orgel jazzt

Samstag, 3. Oktober 09, 21 Uhr

Barbara Dennerlein, Orgel

Barbara Dennerlein, Deutschlands international erfolgreichste Jazzorganistin, gastierte in der Stadtkirche. Der Titel ihres Soloprogramms „Jazz meets Churchorgan“ wies bereits darauf hin, dass die große Goll-Orgel erklingen wird. Die mehrfach ausgezeichnete Jazz-Organistin präsentierte dabei eine Symbiose aus Jazz und klassischen Elementen. Ihr Programm enthielt neben Bearbeitungen von Jazz-Standards auch zahlreiche eigene Werke, welche die speziellen Klangeigenschaften der Kirchenorgel berücksichtigen.

Für Momente schien die Zeit stillzustehen

Ebenso virtuos wie charismatisch: Barbara Dennerlein an der Goll-Orgel Foto: Holzwarth

Jazzorganistin Barbara Dennerlein zauberte auf der Stadtkirchenorgel und wurde dafür mit stehenden Ovationen belohnt

 

VON HEINZ BÖHLER

 

NÜRTINGEN. „Sie ist die Beste!“ Als „eine Meisterin ihres Fachs“ begrüßte Nürtingens Kirchenbezirkskantorin Angelika Rau-Čulo am Samstagabend die Jazz-Organistin Barbara Dennerlein in der Stadtkirche St. Laurentius. Das Konzert der Münchener Musikerin auf der Nürtinger Goll-Orgel war als Höhepunkt des „Tags der Stadtkirchenorgel“ angekündigt worden.

 

Die Ankündigung hielt Wort. Auch wenn sich vor Barbara Dennerleins Auftritt so mancher Kirchgänger gefragt haben mag: „Jazz auf einer Kirchenorgel – geht das überhaupt?“. Die Antwort lautet: „Ja, ja, und wie das geht!“ Zumindest, wenn sich die jüngst auch als „Königin der Kirchenorgel“ bezeichnete Künstlerin Barbara Dennerlein auf das Bänkchen vor den drei Manualen begibt und der „Königin der Instrumente“ zum fünften Geburtstag ordentlich die Flöten- beziehungsweise Pfeifentöne lehrt.

 

Allein die Neugier auf die temporäre Liaison der beiden Königinnen hatte die Nürtinger am Abend des Tags der deutschen Einheit zu Hunderten in ihre Stadtkirche gelockt, wo die Organisatoren mittels einer großen Leinwand Live-Bilder von der Orgel-Empore vor den Altar sandten, die es ebenfalls in sich hatten. Zeigten sie doch abwechselnd, wie die 45-Jährige mit Händen und Füßen die unumschränkte Herrschaft über die dreimanualige Tastatur und die Bass-Pedalerie ausübte.

 

Fast zwei Stunden lang konnten die Kirchenbesucher einer perfekten Zusammenarbeit zweier Herrscherinnen lauschen, die, jede auf ihre Art, alle Register zogen. Denn deren Regler fuhren immer wieder wie von Geisterhand gezogen ein und aus, um den Klang des technischen Meisterwerks den jeweiligen Erfordernissen der Eigenkompositionen der aufregendsten Jazz-Musikerin des Landes anzupassen. Was dabei herauskam, dürfte selbst den von Angelika Rau-Čulo als „Vater unserer Goll-Orgel“ begrüßten Konstrukteur Simon Hebeisen einigermaßen sprachlos gemacht haben, denn schließlich ist es hierzulande (noch) alles andere als ein normaler Vorgang, wenn ein Jazz-Musiker die Tasten einer Kirchen- beziehungsweise Pfeifenorgel tanzen lässt.

 

Dabei zeigte Barbara Dennerlein – und sie tat das nicht zum ersten Mal, wie ihre Diskografie beweist –, dass auch ihre Musik dem meditativen Anspruch eines Ortes der Gottesverehrung entgegenkommt: „Es gibt nichts Besseres zur Beruhigung als einen langsamen Blues“ kündigt sie einen solchen in einer ihrer höchst charmanten Zwischenmoderationen an. Allerdings, so Dennerlein, habe sie den „Stormy Weather Blues“ eigentlich aus dem Programm gestrichen, weil sich, wie sie sagte, die Zwischenfälle, die einem als Musiker immerzu begegneten, immer öfter in einem engen Zusammenhang mit dem Stück ereignet hätten. Doch am Samstag war das wohl zweitrangig, „denn“, beruhigte sie ihre Zuhörer, „eine Kirche ist ein so sicherer Ort. Da wird schon nichts passieren.“

 

Brauchte es auch nicht, denn was sich in der Nürtinger Stadtkirche am Samstagabend abspielte, war mit Fug und Recht ein fulminantes Ereignis. Ob die „Spiritual Movements No. 1“ oder Barbara Dennerleins aus „New York“ mitgebrachte Großstadtimpressionen, der Kirchenraum wurde zum Weltenraum, in dem für Momente die Zeit stillzustehen schien. „Always Remember“ stand für die positiven Schwingungen, die ein schönes Erlebnis auslöst oder hinterlässt, während die in Musik gepresste Wut auf die Bürokratie dem Uhrzeiger mit „i 797“ eher Beine machte.

 

So kam die mit stehenden Ovationen gefeierte Künstlerin nicht umhin, nach einem donnernden Schlussapplaus für eine Zugabe nochmals die Orgelbank zu drücken. Ein beschwingtes Stück aus der Anfangsphase ihrer Karriere setzte den launigen Schlusspunkt hinter ein mehr als Laune machendes Konzert: „Beboogaloobop!“

NTZ, 05.10.2009

Festgottesdienst mit Bachkantate

Sonntag, 4. Oktober 09, 10 Uhr

Die Hauptaufgabe unserer Goll-Orgel ist die Bereicherung der Gottesdienste und die Unterstützung des Gemeindegesangs. Mit der Aufführung der Bachkantate „Gott soll allein mein Herze haben“ BWV 169 und der Sinfonia aus der Kantate „Geist und Seele wird verwirret“ BWV 35,1 sollte in einem festlichen Gottesdienst unsere Freude und unser Dank über dieses schöne Instrument zum Ausdruck kommen.

Musiziert haben Anne-May Krüger (Alt), Michael Čulo (Orgel), die Nürtinger Kantorei und das Orchester der Stadtkirche unter der Leitung von Angelika Rau-Čulo. Liturgie und Predigt hatte Dekan Michael Waldmann.

Bach und Gotteslob

Tag der Stadtkirchenorgel endete mit Kantatengottesdienst

 

NÜRTINGEN (pm). „Gott soll allein mein Herze haben“ hieß die Kantate, mit der die Nürtinger Bezirkskantoren Angelika Rau-Čulo und Michael Čulo den Tag der Stadtkirchenorgel, den fünften Geburtstag der Goll-Orgel in der Stadtkirche, beendeten und einen bewussten Akzent setzten: Die primäre Aufgabe der Orgel ist die gottesdienstliche Musik, die Begleitung des Gemeindegesangs neben aller kammermusikalischen und konzertanten Musik.

 

So strömten denn zum Kantatengottesdienst zahlreiche Besucher, die sich an der Mezzosopranistin Anne-May Krüger, die die Schwierigkeiten und langen Phrasen von Johann Sebastian Bachs BWV 169 mühelos meisterte und mit ihrem warmen Timbre etwas vom „aufgeschlossenen Himmel“ ahnen ließ, und an der Orgel freuten, der in dieser Kantate virtuose solistische Aufgaben zukommen, von Michael Čulo in gewohnt souveräner Weise zum Klingen gebracht, begleitet vom Orchester der Stadtkirche unter der Leitung von Angelika Rau-Čulo, das sich als zuverlässiger Partner in den konzertanten Eingangssätzen erwies und sehr subtil die wiegenden Rhythmen der Arie „Stirb in mir“ gestaltete. Die Nürtinger Kantorei, am Vorabend noch mit Barockorchester und in großer Besetzung zu hören, gestaltete fein und klar die Bitte an den Heiligen Geist um Liebe und Frieden.

 

Dekan Michael Waldmann bezog sich in seiner Predigt auf die textliche Grundlage der Kantate, die Perikope des Matthäusevangeliums, in der Jesus die Gottes- und Nächstenliebe als vornehmstes Gebot nennt. Beide gehörten zusammen und dürften nicht gegeneinander ausgespielt werden, noch dürfe die eine der anderen übergeordnet werden. Wer liebe, der lobe. Und so erklinge die Musik und die Orgel zu Lob und Ehre Gottes, so ende der Orgelgeburtstag selbstverständlich mit einem Gottesdienst, dem 150. Psalm folgend: „Lobt Gott mit Saiten und Pfeifen!“ Gelobt, so schloss der Dekan, sei Gott für die Musik, die das Herz erfreue und die Seele öffne und für die „fantastische“ Orgel.

 

Bedankt wurden besonders der Orgelbaumeister Simon Hebeisen, Vater der Nürtinger Goll-Orgel, der das ganze Wochenende in Nürtingen verbrachte, und Almut Kaiser für deren eigens zum Tag der Stadtkirchenorgel gefertigte Skulptur „Metamorph“. Damit ging ein beeindruckendes Fest zu Ende: mit acht Veranstaltungen in knapp 40 Stunden hat die „Musik an der Stadtkirche“ gezeigt, wie abwechslungsreich die Orgel in Erscheinung treten kann – mit Stummfilm, Orchester und Kammermusik, für Kinder, mit Tanz, Chor oder Jazz wurden den insgesamt rund 2000 Gästen Momente bereitet, an die sie lange zurückdenken werden.

NTZ, 15.10.2009