Johann Sebastian Bach: Johannespassion 1724 BWV 245

Musik zur Grablegung Christi

Karfreitag, 2. April 10, 18 Uhr

 

Bachs Johannespassion gehört in vielerlei Hinsicht zu den faszinierendsten Werken des großen Barockmeisters, dessen 325. Geburtstag wir in diesem Jahr feiern. Ihr Text zeugt von einem für die Zeit ungewöhnlich tiefen Verständnis für das Gedankengut des vierten Evangelisten, in der Komposition ist die vielfältige Korrespondenz der Bibelwortchöre untereinander ein musikgeschichtlich einmaliges Phänomen. Aufführungen von geistlichen Oratorien waren um das Jahr 1723 – das Jahr des Amtsantrittes von Johann Sebastian Bach als Thomaskantor in Leipzig – in manchen deutschen Städten schon lange üblich. Allerdings war der Rat der Stadt Leipzig orthodox und glaubensstreng. Man sah es nicht gern, wenn Gottes Wort in allzu prächtiges Gewand gekleidet wurde. Um das Jahr 1720 aber waren Oratorien beim Publikum so beliebt geworden, dass nun auch in Leipzig zur Passionszeit Aufführungen stattfanden. Die Uraufführung der Johannespassion war am Nachmittag des 7. April 1724 während der Karfreitagsvesper in der Nikolaikirche. Weitere Aufführungen, für die Bach jeweils Überarbeitungen des Werkes vornahm, gab es in den Jahren 1725, 1728 und 1749. Zum Teil enthielten sie gewaltige Änderungen gegenüber der ersten Partitur. So erklang zu Beginn der zweiten Aufführung im Jahre 1725 an Stelle von "Herr, unser Herrscher" ein anderer Eingangschor: "O Mensch, bewein dein Sünde groß". Über die Gründe für die Umgestaltungen wurden viele Spekulationen angestellt. Einwände des Rates gegen eine allzu "theatralische" Darstellung des Passionsgeschehens mögen dabei eine Rolle gespielt haben. Bach musste auf solche Einwände reagieren. Aber mit seinem charakteristischen Beharrungsvermögen kehrte er später zu seiner Urfassung von 1724 zurück: Nach der letzten Aufführung zu Bachs Lebzeiten geriet die Johannespassion – wie Bachs gesamtes Werk – in Vergessenheit. Erst im Jahr 1834 wurde sie wiederaufgeführt – vier Jahre nach der berühmten Aufführung der Matthäuspassion unter Felix Mendelssohn Bartholdy. Die Bachsche Johannespassion in der Urfassung von 1724 war in diesem Jahr als Musik zur Grablegung Christi am Karfreitag, 2. April 10, um 18 Uhr in der Nürtinger Stadtkirche St. Laurentius zu hören. Die Nürtinger Kantorei musizierte zusammen mit den Solisten Fanie Antonelou (Sopran), Kai Wessel (Altus), Daniel Jenz (Tenor), Ulrich Wand (Bass), Patrick Pobeschin (Bass) und dem Barockorchester „La Banda“, die Leitung hatte Angelika Rau-Čulo.

Die Leidensgeschichte als Musikdrama

Die Nürtinger Kantorei bei der Aufführung der Johannespassion. Bild: itt

Aufführung der Bach’schen Johannespassion in der Stadtkirche – Die Besucher drängten sich

 

VON GÜNTER SCHMITT

 

NÜRTINGEN. Der Eingangschor, mit dem an Karfreitag in der Stadtkirche die Johannespassion von Bach begann, ist eine Musik von düster-erhabener Pracht. Der Chor setzt nicht nur den Maßstab für das gesamte Werk, er übertrifft auch alle frühere Kirchenmusik an Monumentalität. Aus gemessenen Binnenbewegungen entwickeln sich mächtige Steigerungen.

 

Der Besuch entsprach dem Ereignis. In der Stadtkirche war jedes Eckchen und jeder Winkel besetzt. Die Passion erzählt das Drama der Leidensgeschichte.

 

Wenn gestandene Bachianer unter sich sind, stellt sich unweigerlich die Frage, welches der zwei Großwerke das bedeutendere sei, die Johannespassion oder die Matthäuspassion. Wie immer bei Fragen der Kunst und der Musik ist die Antwort eine Sache der Neigung und der Einstellung. Die einen bevorzugen den dramatischen Impetus der Johannespassion, andere tendieren mehr zum melodiengesättigten, innigen und gleichsam mystischen und leidenden Gestus der Matthäuspassion.

 

Wenn es um die Entstehungs- und Aufführungsgeschichte der Werke von Bach geht, ist nicht umsonst die Einschränkung „wohl“ eine überaus häufig verwendete Vokabel. Fast eine Ausnahme bildet da die Johannespassion, von ihr weiß man verlässlich, dass sie im April 1724 in Leipzig uraufgeführt wurde.

 

Das Werk hat allerdings nie eine endgültige Fassung erhalten. Es gibt fünf nachweisbare Versionen. Den 1739 unternommenen Versuch einer endgültigen Fixierung brach Bach bald wieder ab. In der Nürtinger Stadtkirche erklang die Urfassung aus dem Jahr 1724.

 

Interessanterweise sang die Nürtinger Kantorei in einer gemischten Aufstellung, um eine ausgewogene klangliche Homogenität zu erreichen. Schon zu Beginn der Probenphase wurden sechs jeweils drei- bis vierstimmig besetzte Chorgruppen gebildet.

 

Die Vorkehrung war nicht vergeblich. In der Deutung der Kantorei gewannen vor allem die sogenannten Volkschöre, die wohl bedeutendste musikalische Komponente der Passion, eine außergewöhnlich dramatische Schlagkraft. Wie die Kantorei zum Beispiel der Forderung „Wir haben ein Gesetz“ in aller Schärfe Klang und Gestalt gab, war von großer Eindringlichkeit.

 

Überhaupt erwies sich die Kantorei als ein Klangkörper von außerordentlicher Kraft und Beweglichkeit. Wie er den Chor „Durch dein Gefängnis“ sanft und zart einleitete und schließlich zu einem heftigen Ausbruch steigerte, war von beeindruckender Dramatik.

 

Die ganze Passion erwies sich als ein einziges Wechselbad der Gefühle. Die Szene der Mantelteilung ist erregender nicht vorstellbar. Ganz das Gegenstück dazu bildeten die schönen alten Choräle, die immer wieder das Passionsgeschehen unterbrechen. Sie erklangen in ihrer ganzen getragenen Lieblichkeit. Ob zu Bachs Zeiten die Leipziger Gemeinde in diese Choräle mit einstimmte, ist umstritten. Auf jeden Fall handelte es sich um damals weitverbreitete Kirchenlieder.

 

Angelika Rau-Čulo, die Dirigentin, ist eng mit dem Werk Bachs verbunden. Sie hob die dramatischen Züge des Karfreitagsgeschehens hervor, ohne deshalb die Abschnitte des Nachsinnens und Mitfühlens zu vernachlässigen. Das eifersüchtige Poltern der Hohenpriester kam ebenso zum Ausdruck wie die Trauer um das leidvolle Geschehen.

 

Zu keinem Zeitpunkt verlor die Dirigentin die Kontrolle über den großen Apparat von Chor, Orchester und Solisten. Das Barockorchester „La Banda“ ließ es heftig grummeln, als es beim Zerreißen des Tempelvorhangs zu einem der seltenen Fälle von Tonmalerei kam.

 

Fast überflüssig zu sagen, dass das Barockorchester jene Instrumente bevorzugt, die in der Barockzeit gang und gäbe waren. Das Resultat war ein leicht gedämpfter Gesamtklang, an den sich ein an das moderne Orchester gewöhntes Ohr einhören muss, was aber den Vorzug hat, dass die Musik zu hören ist, wie sie ihrem Schöpfer geläufig war. Originalklang und das Orchester, wie es sich entwickelt hat, können gut nebeneinander leben. Der alte Streit ist beigelegt, beide Versionen haben ihre Berechtigung. Überhaupt muss man davon ausgehen, dass Bach bei der Besetzung seiner Ensembles öfter improvisieren musste, als man sich das heute vorstellen kann.

 

Der Kantorei war es gelungen, eine Reihe guter Gesangssolisten zu engagieren. Als Evangelist wusste Daniel Jenz mit seinem hellen und schlanken Tenor für sich einzunehmen. Er füllte mit Leichtigkeit das ganze Kirchenschiff.

 

Patrick Pobeschin und Ulrich Wand setzten für die Pilatus- und Jesuspartien umfassend gereifte Bässe ein. Vor allem Patrick Pobeschin bewältigte unangestrengt und mit lyrischem Schmelz seine Aufgaben. Ebenso der Countertenor Kai Wessel. Von der Sopranistin Fanie Antonelou war nur zu bedauern, dass die Partitur sie nicht öfter an die Rampe rief. Mühelos und klar schwang sie sich bis in höchste Höhen hinauf.

 

Als Chorsolisten traten in Erscheinung Elke Hantsch, Ilse Polatsidis, Dagmar Bischoff-Glaser, Rosine Scheifele, Heiko Schall und Thomas Weller.

 

Auf die letzte Note folgte bei abgedämpfter Beleuchtung die Würdigung mit tiefem Schweigen, kein Rascheln störte die Stille. Es war gebeten worden, auf Applaus zu verzichten. Die Besucher hielten sich daran.

Quelle: NTZ 06.04.2010

G. Rossini: "Petite messe solennelle"

Sonderkonzert

 

Am Sonntag, 18. April 2010 gastierte um 18 Uhr der Nürtinger Kammerchor mit einem außergewöhnlichen Programm in der Nürtinger Stadtkirche St. Laurentius. Zur Aufführung kam die Petite Messe solennelle von Gioachino Rossini, einem der bedeutendsten italienischen Opernkomponisten des 19. Jahrhunderts. Die Messe ist, neben dem Stabat Mater, die zweite große kirchenmusikalische Komposition Rossinis und entstand 1863 in Passy, einem Vorort von Paris. Rossini hatte dort eine Villa erworben, die schnell zu einem begehrten, gesellschaftlichen und künstlerischen Treffpunkt wurde. Hier empfing Rossini Persönlichkeiten des internationalen Musiklebens, u. a. Richard Wagner, Ignaz Moscheles und Eduard Hanslick, die Rossinis objektiven Ansichten über die Musik der Gegenwart sehr zu schätzen wussten. In Passy hatte Rossini nach langen Jahren der Krankheit wieder begonnen, zu komponieren. Er schrieb eine Vielzahl kleiner, von ihm ironisch als „Sünden des Alters“ benannter Stücke, als letzte „Todsünde seines Alters“ die Petite Messe solennelle. Oberflächlich betrachtet war sie ein Gelegenheitswerk, das er für die Einweihung der Privatkapelle des Pariser Adligen Graf Pillet-Will schuf. In dessen Haus fand dann am 14. März 1864 auch die erfolgreiche Uraufführung der Messe statt. Vielleicht waren es die räumlichen Verhältnisse, die Rossini zu einer etwas ungewöhnlichen, zu dieser Zeit aber durchaus üblichen Besetzung für Messkompositionen, mit Klavier und Harmonium, bewegte. Er selbst verweist in seiner für ihn bezeichnenden ironisch-spöttischen Art auf den Symbolgehalt der für die Aufführung der Messe benötigten Sängerzahl:

„12 Sänger von drei Geschlechtern – Männer, Frauen und Kastraten werden genug sein für ihre Aufführung, d.h. acht für den Chor, vier für die Soli, insgesamt also 12 Cherubine…“

In der Nürtinger Aufführung musizierten die Solisten Nina Vitol (Sopran), Regina Grönegreß (Alt), Alexander Efanov (Tenor), Michail Nikiforov (Bass) zusammen mit dem Nürtinger Kammerchor, begleitet vom Klavier-Duo Götz Schumacher und Andreas Grau und Michael Čulo (Harmonium). Die Leitung hatte Hans-Peter Bader.