Stabat Mater

Sonderkonzert

Samstag, 2. April, 18 Uhr

 

J. Haydn: Stabat Mater

J.S. Bach: „Ich hatte viel Bekümmernis“ BWV 21

 

Vokalsolisten

Nürtinger Kammerchor und Kammersymphonie

Leitung: Hans-Peter Bader

 

Wieder einmal waren Nürtinger Kammerchor und Kammersymphonie zusammen mit renommierten Vokalsolisten unter der Leitung von Hans-Peter Bader in der Nürtinger Stadtkirche St. Laurentius zu Gast. Das Konzert am Samstag, 2. April um 18 Uhr stand ganz im Zeichen der Passionszeit. Im Zentrum stand das Stabat Mater von Joseph Haydn, das er 35jährig komponierte und als eines seiner Lieblingswerke bezeichnete. Lebenslang stolz war er auch auf eine „Urkunde“ aus der Hand Johann Adolf Hasses, dem er sein Werk zur Begutachtung vorlegte und von dem er dafür höchstes Lob empfangen hatte. Haydns Komposition ist für vier Solostimmen, Chor, zwei Oboen im Wechsel mit Englischhörnern geschrieben und bei aller kunstvollen und abwechslungsreichen affektiven Ausdeutung des Textes durch eine besondere Einheitlichkeit und Geschlossenheit charakterisiert. Daneben erklang noch Bachs Kantate „Ich hatte viel Bekümmernis“ BWV 21, deren Entstehungsgeschichte völlig im Dunkeln liegt. Sicher ist, dass sie am 3. Sonntag nach Trinitatis 1714 in Weimar zum ersten Mal aufgeführt wurde, allerdings noch nicht mit allen Sätzen aus der letzten Fassung von 1723. Den ersten Teil der Kantate mit einer eher düsteren und bedrückenden Stimmung bestimmen Bilder des Tränenstroms (Sekundschritte in Sechzehnteln), Seufzermotive und das musikalisch aufwühlend gestaltete Bild einer Sturmflut. Im zweiten Teil der Kantate schlägt die Stimmung um: durch das Vertrauen des Sünders auf die Gnade Gottes wandelt diese sich in freudiges Frohlocken, den Abschluss bildet eine kraftvolle Lobeshymne.

Musik zur Grablegung Christi

Freitag, 22. April, 18 Uhr

 

H. Schütz: Lukaspassion SWV 480

H. Distler: Das ist je gewisslich wahr

M. Dupré: Le chemin de la croix (Auszüge)

 

Dan Martin, Tenor

Frank Wörner, Bariton

Nürtinger Kantorei

Leitung: Angelika Rau-Čulo

 

Michael Čulo, Orgel

 

Am Karfreitag, 22. April 2011, erklangen als Musik zur Grablegung Christi um 18 Uhr die Lukaspassion von Heinrich Schütz und die Motette „Das ist je gewisslich wahr“ von Hugo Distler. Durch die außergewöhnliche Breite und Qualität seines Schaffens und die lange Lebensspanne, die ihm zur Entwicklung seines Talents und zur Ausübung seiner Kunst geschenkt war, stellt Heinrich Schütz eine der faszinierendsten Musikerpersönlichkeiten aller Zeiten dar. Zu den schönsten Schöpfungen von Schütz gehören die drei späten Passionsmusiken, die der 80jährige 1665 und 1666 für die Gottesdienste bei Hof in der Fastenzeit schrieb. In der „Historia des Leidens und Sterbens unseres Heilands Jesu Christi nach dem Evangelisten St. Lucam“ geht es um die Verinnerlichung des biblischen Berichts, nicht wie später bei Bach und dessen Zeitgenossen um eine Reflexion darüber, welche Bedeutung dem Kreuzestod Jesu für den Gläubigen zukommt. Schütz legt in seinen Werken stets großen Wert auf eine klare, von der Sprache geprägte Deklamation und ein hohes Maß an Textverständlichkeit. Die Musik sollte den Texten, die er überwiegend der Bibel entnahm, dienen. In seinen reifen Werken hat Schütz eine unübertroffene Balance zwischen Text und Musik erzielt. Und genau dieser Zusammenhang führt dann auch zu Hugo Distler und der Tradition, der er sich als Komponist verpflichtet fühlte: „Man singe nur einmal selber im Chore etwa das Schütz’sche Die Himmel erzählen die Ehre Gottes – da gewinnen Baum und Strauch und alle Kreatur, das ganze Universum eine Sprache. Und diese Sprache ist nicht anders denkbar denn als vierstimmiger Chorus.“ Für Distler war die Musik von Heinrich Schütz das Fundament, auf das er sein eigenes Schaffen bauen konnte – nicht einmal die hoch verehrten Werke Johann Sebastian Bachs waren dem gleichgestellt. Die Motette „Das ist je gewisslich wahr“ gehört zu Distlers Spätwerk, das in seiner Stuttgarter Zeit entstand. In seinen letzten Lebensjahren trug sich Distler mit dem Gedanken, nach Schütz’schem Vorbild, eine Johannes-Passion zu schreiben. Dieses ambitionierte, von offiziellen Stellen des NS-Staates als „unzeitgemäß“ abgeurteilte Projekt blieb jedoch unvollendet: lediglich die Chorsätze „Das ist je gewisslich wahr“ und „Führwahr, er trug unsere Krankheit“, die als Rahmenteile der Passion fungieren sollten, wurden vollständig ausgearbeitet. Sie lassen ahnen, welch tiefgründiges Werk Distlers Johannes-Passion hätte werden können. Zwischen den Chorwerken waren Teile aus Marcel Duprés Kreuzweg für Orgel zu hören.

Eine noble Anrufung der höchsten Instanz

Die Nürtinger Kantorei am Karfreitag bei der Musik zur Grablegung Christi. Foto: itt

Musik zur Grablegung Christi am Karfreitag in der Nürtinger Stadtkirche – Werke von Heinrich Schütz und Hugo Distler wurden aufgeführt

 

VON GÜNTER SCHMITT


NÜRTINGEN. Manche Musikliebhaber bedauern, dass es nicht mehr Feiertage mit ernstem Hintergrund gibt. Solche Feiertage, auch der Karfreitag, stehen immer für die Aufführung wichtiger musikalischer Werke. In der Nürtinger Stadtkirche standen am Karfreitag unter dem Motto „Musik zur Grablegung Christi“ vor allem zwei Kompositionen im Zentrum der Aufmerksamkeit. In beiden Fällen handelt es sich um A-cappella-Aufführungen, die Lukaspassion von Heinrich Schütz und die Motette „Das ist je gewisslich wahr“ von Hugo Distler. Reichen sich die mit einem solchen Tag einhergehende Stimmung und die Werke die Hand, können große Höhen musikalischen Erlebens erreicht werden.

 

Beide Komponisten, Schütz wie Distler, lebten in Zeiten großer Tragödien und Umbrüche. Heinrich Schütz musste nach Lehrjahren in Italien durch alle Grauen und Verwerfungen des Dreißigjährigen Krieges, der Kirchenmusiker Hugo Distler sah sich unter dem unerträglichen Druck der Nationalsozialisten, die seine Kompositionspläne als nicht zeitgemäß abtaten, wobei offen bleiben muss, ob er vielleicht zu jenen Menschen gehörte, denen nicht zu helfen ist, oder ob er unter dem Zwang der Verhältnisse den Punkt erreichte, wo er nicht mehr weiterleben mochte. Für beide Komponisten war es zu großen Teilen ein Leben im Trauerflor, ein einziger Karfreitag.


Während Kantorin Angelika Rau-Čulo die A-cappella-Werke dirigierte, spielte Kantor Michael Čulo an der Orgel gleichsam als Intermezzi zwischen den zwei Großwerken eine Reihe von Stationen aus dem 1931 entstandenen Kreuzweg von Marcel Dupré, der vor 40 Jahren starb. Obgleich Duprés Tonsprache durchgehend tonal bleibt, ist der musikalische Ausdruck zuweilen heftig und herb, wobei er manchmal die Mittel der Lautmalerei nicht scheute.


Michael Čulo gab mit sicherer Hand dem grellen Schmerz ebenso Ausdruck wie, in abwärts gleitenden Figuren, der Düsternis und den dunklen Stimmungen des Leidensweges. Virtuos bewältigte er, als sei es für ihn ein Alltagsgeschäft, selbst die vertrackten Kombinationen und die sich aufbäumenden Tonballungen.


Hugo Distler hält in seiner Motette die Balance zwischen Überliefertem und dem Modernen. Seinen Chorsätzen fehlt es weder an überraschenden Modulationen noch an satztechnischen und rhythmischen Ausarbeitungen.


Dass die recht ausgewogen besetzte Nürtinger Kantorei die klanglich mitunter außerordentlich fordernden Passagen gut bewältigte, spricht für die Leistungsfähigkeit des Ensembles wie für die so unmissverständliche wie unaufgeregte Zeichengebung der Dirigentin. Bei allen Kühnheiten fühlte sich Hugo Distler der Tradition verpflichtet. Diszipliniert gab der Chor dieser gebändigten Trauer Ausdruck. Das Werk ist eine noble Anrufung der höchsten Instanz.


In der Lukaspassion von Schütz wird die Leidensgeschichte zu großen Teilen von den zwei Solisten in einer Art rezitativischem Sprechgesang erzählt. Sowohl der Tenor Dan Martin wie der in Esslingen geborene Bass-Bariton Frank Wörner artikulierten überlegt und sauber, sodass der Text jederzeit zu verstehen war.


Schütz schrieb für seine Passion eine Musik von altersweiser Klarheit. Den Harmonien eignet eine große Gelassenheit, es spricht ein Komponist, der alle Eitelkeiten abgestreift hat und ganz in sich ruht. Schwingt er sich zu großen Gefühlen auf, so kommen sie knapp und genau. Die „Barrabam“-Rufe zum Beispiel führen in direkter Linie zu den großen Passionen von Bach.


Die Kantorei, wenn sie denn gefordert war, verband Genauigkeit mit rhythmischer Exaktheit und einer beeindruckenden Lust am Gesang. Der Chor agierte so präzise wie aufmerksam und nutzte seine Möglichkeiten souverän aus, in den Abstufungen wie in den Nuancierungen. Es war ein Musizieren in lebendiger Einheit. Eingedenk des Tages wurde auf Applaus verzichtet, eine Schweigeminute setzte den Schlusspunkt unter ein im guten Sinne besinnliches Kirchenkonzert an einem Karfreitag.

Quelle: NTZ 26.04.2011