„L´énigme éternelle – Geistliche Werke im Spiegel der Zeiten“

Stunde der Kirchenmusik

Samstag, 19. März, 18 Uhr

 

Anne-May Krüger, Mezzosopran

Beate Anton, Harfe

 

Am Samstag, 19. März 2011 um 18 Uhr fand in der Stadtkirche St. Laurentius eine ganz besondere Stunde der Kirchenmusik statt. Unter dem Titel „L’énigme éternelle – Geistliche Werke im Spiegel der Zeiten“ musizierte die Mezzosopranistin Anne-May Krüger zusammen mit der Harfinistin Beate Anton Werke von Franck, Ravel, Debussy u. a. Das Programm war dem Rätselhaften der menschlichen Existenz, dem Zusammenspiel von irdischem Treiben und der Suche nach Transzendenz gewidmet. In einem vom Barock bis in die Gegenwart gespannten Bogen erklangen Werke, die von Hoffnung, Liebe und Trost erzählten und in ihrer Beschäftigung mit jenen essentiellen Themen des Lebens ihre Gültigkeit über den jeweiligen Gattungsrahmen hinaus bewiesen. Sie eröffneten vielmehr im philosophischen Sinne die Möglichkeit zum Innehalten und zur Reflexion.

Anne-May Krüger, geboren in Berlin, studierte in Leipzig und Karlsruhe; seit 2005 wird sie von Prof. Rudolf Piernay betreut. Schon während der Studienzeit wirkte sie in zahlreichen Opernproduktionen mit. Sie war mehrfach am Forum Neues Musiktheater (FNM) der Staatsoper Stuttgart tätig und wurde wiederholt an die Junge Oper der Staatsoper Stuttgart engagiert. Ihre Duo-Partnerin, Beate Anton, geboren 1977 in Frankfurt/Main, studierte zunächst an der Musikhochschule Mannheim, ehe sie an die Musikhochschule München in die Klasse von Prof. Helga Storck wechselte und dort ihr Diplom sowie 2004 ihr Konzertexamen ablegte.

Höhepunkt des Konzertabends in der Stunde der Kirchenmusik waren zwei Uraufführungen von Hölderlin-Vertonungen Mike Svobodas und Michael Čulos.

Sprache am Rande des Schweigens

Musikalische Inspiration aus Texten Hölderlins – Uraufführungen von Michael Čulo und Mike Svoboda in der Stadtkirche

 

VON ECKHARD FINCKH

 

NÜRTINGEN. Die monatliche Stunde der Kirchenmusik in der Nürtinger Stadtkirche bot am Wochenende in mehrfacher Hinsicht Außergewöhnliches. Zum einen war die Duo-Besetzung mit Harfe und Stimme eine Seltenheit. Zum andern wurden die zahlreichen Zuhörer am Vorabend von Friedrich Hölderlins 241. Geburtstag tatsächlich Zeuge von zwei beachtenswerten Uraufführungen, die auf Texten des großen Lyrikers beruhten.

 

Die viel gefragte Konzertharfenistin Beate Anton und die versierte, mit mehreren Stipendien ausgezeichnete Mezzosopranistin Anne-May Krüger hatten ein sehr umfangreiches Duoprogramm zusammengestellt, das sich gedanklich mit dem Rätselhaften der menschlichen Existenz beschäftigte. Gebet, Lobgesang, morgendliche Reflexion und Abendstimmungen wechselten sich ab. Musikalisch reichte es von Barockkomponisten wie Henry Purcell und Georg Philipp Telemann über die romantisch-impressionistische Tonsprache eines Maurice Ravel oder Claude Debussy bis zu den Hölderlinvertonungen aus der Gegenwart. Harfe und Stimme fanden bei den französischen Kompositionen zu schöner klanglicher Integration zusammen und arbeiteten mit feinen musikalischen Schattierungen. Bei den barocken Arrangements wirkte die „moderne“ Konzertharfe mit ihrem Nachhall allerdings etwas befremdlich.

 

Herausforderndes und packendes Hörerlebnis

Die Uraufführungen der Kompositionen zu Hölderlin waren im Mittelteil des Konzerts angesiedelt und wurden zweifelsohne zum packenden und herausfordernden Hörerlebnis. Michael Čulo, der seine Kantorenstelle an der Stadtkirche bekanntlich mit Angelika Rau-Čulo teilt, entwickelt sich immer mehr zum „Composer in Residence“. Schon im September 2010 bestritt er in Nürtingen ein gesamtes Konzertprogramm mit eigenen Werken. Für die delikate Kombination von Stimme und Harfe hatte er nun „Drei Hölderlin-Lieder“ komponiert, die in kleinem Format gehalten waren. Bei der musikalischen Gestalt des hymnischen Entwurfs „Was ist Gott?“ wurde die Frage in akkordische Wellen eingehüllt, kontrastiert mit bizarren Intervallen der Stimmführung. Die mehrfache Wiederholung des Wortes „Gott“ erreichte exponierte Höhen. Die zweite Vertonung – „Was ist der Menschen Leben?“ – war etwas meditativer angelegt. Die Zeile „Wie unter dem Himmel wandeln die Irdischen alle“ schien den Bewegungsmodus vorzugeben. Aber auch hier vokale Aufgipfelungen bei Einzelwörtern, wo Transzendenz angesprochen wurde („Unendlichkeit“, „Wolken“, „Blau“). Schließlich „Die Linien des Lebens“, mit ähnlichen Stilmitteln in Musik gefasst, ein verklingendes Glissando der Harfe brachte „Lohn und Frieden“. Eine subtile Annäherung an den Dichter.

 

Mit Mike Svoboda hatten die Veranstalter einen Musiker gewonnen, der in der zeitgenössischen Musikszene eine markante Rolle spielt. Als Posaunist und Komponist arbeitet der in Deutschland lebende US-Amerikaner mit Jazzbands, Sinfonieorchestern, Opernhäusern und namhaften Ensembles für neue Musik zusammen.

 

Sein Hölderlinbeitrag legte Ausschnitte aus dem Gedicht „Die Bücher der Zeiten“ zugrunde, ein Text, der in seiner ganzen Länge Gräueltaten und Katastrophen schildert und dennoch mit den Worten anhebt: „Herr! Unterwunden hab’ ich mich / zu singen dir / bebenden Lobgesang“.

 

Svoboda schöpfte aus dem Vollen, was die Ausdrucksmittel des Instruments und der Stimme betraf. Expressive Rufe, Vokalisen, monotones Selbstgespräch, Flüstern, Pfeifen, Geräusche. Sprache am Rande des Schweigens. Extreme Tongebung bei der Harfe, weite Spreizung zwischen tiefsten und höchsten Saiten, kraftvolle Tontrauben. Komplexe musikalische Abläufe zeichneten die Komplexität der dichterischen Aussage nach. Auf der einen Seite das kosmische Heiligtum des „Unnennbaren“, der Schrei nach Richter und Racheengel. Auf der anderen die Wahrnehmung einer weisen „Allmachtshand“ über dem „Zeitengewimmel“. Auch diese Komposition brachte den gebannt lauschenden Zuhörern eine Annäherung an den schwierigen Dichter, gleichzeitig eine Auslotung der kommunikativen Möglichkeiten von Musik und Sprache.

 

Zeichen für ein lebendiges Kulturleben in der Stadt

Unnötig zu sagen, dass sowohl Beate Anton als auch Anne-May Krüger hier mit Leidenschaft und Souveränität agierten und zu Recht mit starkem Beifall bedankt wurden. Die Veranstaltungsreihe „Stunde der Kirchenmusik“ hat ein Publikum, das sich neuen Hörgewohnheiten stellt und ernsthafte, anspruchvolle „Jetztmusik“ zu schätzen weiß. Das ist für das lebendige Kulturleben einer Stadt ein erfreuliches Zeichen.

Quelle: NTZ 22.03.2011