KantoreiKonzert

König David (aus dem Egbert-Psalter)

Auf dem Programm des herbstlichen KantoreiKonzerts 2012 stand Mozarts Kantate „Davide penitente“ KV 469 und Mendelssohns „Der 95. Psalm“ op. 46. Zu Beginn des Jahres 1785 hatte die Wiener Tonkünstlersozietät W.A. Mozart um „die Verfertigung neuer Chöre, und allenfalls vorangehenden Arien mit Rezitativen“ für ihre alljährliche Akademie während der Fastenzeit ersucht. Auf die Anfrage hin stellte Mozart einen „Psalm“ in Aussicht. Zahlreiche Konzert- und Kompositionsverpflichtungen zur Zeit des Auftrags scheinen aber Mozart davon abgehalten zu haben, ein völlig neues Werk zu schreiben. Stattdessen entschied er sich für die Umarbeitung von Teilen seiner unvollendeten c-Moll-Messe KV 427, welche in Wien noch nicht bekannt geworden war. Der neue, in italienischer Sprache gefasste Text thematisiert die Geschichte des büßenden David, ein beliebter Oratorienstoff des 18. Jahrhunderts, der in den Textbüchern nicht selten Davide penitente überschrieben war.

Mendelssohns Psalmvertonung „Kommt, lasst uns anbeten“ (Psalm 95) zeigt in vielfältiger Weise die reiche Palette seiner Ausdrucksmittel: vielfältige Besetzungswechsel zwischen Solo und Chor, imitierende Polyphonie, Kanon und Fuge – eines der schönsten Werke für Soli, Chor und Orchester!

Im Konzert am Sonntag, 25. November 2012 um 19 Uhr in der Stadtkirche musizierten Lydia Kucht, Fanie Antonelou, Daniel Jenz, die Nürtinger Kantorei und das Orchester „il capriccio“ mit Friedemann Wezel und Dietlind Mayer am ersten Pult. Die Leitung hatte Bezirkskantor Michael Čulo.

Seliger Fluss der Melodien

Die Nürtinger Kantorei begeisterte in der Stadtkirche mit einer gelungenen Aufführung von Mozarts „Davide penitente“

 

VON UDO KLEBES

 

NÜRTINGEN. Viel Licht zum Totensonntag spendete das jüngste Konzert der Nürtinger Kantorei, dessen Programm sich diesmal zur Abwechslung auf klassisch-romantischen Pfaden bewegte. Das lag nicht nur an den ausgewählten Werken selbst, entscheidender noch an deren Umsetzung durch die beteiligten Künstler.

 

Felix Mendelssohn-Bartholdys 1841 nach einer langwierigen und abänderungsreichen Entstehungszeit im Leipziger Gewandhaus uraufgeführter Psalm 95, op. 46 „Kommt lasset uns anbeten“ gehört zu seinen fünf bedeutenden Kompositionen dieser Gattung. Dessen Besonderheit liegt im Kontrast seiner beiden Teile zwischen Gotteslob und drohendem Zorn bei Missachtung seiner Worte. Dieser Gegensatz spiegelt sich sowohl in wechselnden Dur- und Moll-Tonarten als auch in der großen Bandbreite an Ausdrucksmitteln hinsichtlich unterschiedlicher Soli- und Gruppenbesetzung und der Anwendung diverser Formen wider, wobei der Kanon ganz deutlich ein Zeichen seiner Liebe zu Bach setzt. In der romantisch angereicherten Instrumentierung durch Posaunen, Fagotte oder die Hervorhebung der Bratschen wie im letzten Satz erzielt der Komponist ungewohnt dunkle Stimmungen und warme Tönungen. Wie in einem Schoß ist der Chorpart darin eingebettet, die Soli schweben über den Orchesterlinien, wodurch der Text klar hervortritt.

 

Auch Mozarts „Davide penitente“ („Der reumütige David“) KV 469 ist auf eher ungewöhnlichem Weg als Auftragsarbeit der Wiener Tonkünstler-Societät entstanden – mangels Zeit als Umarbeitung der zwei Jahre zuvor ohne Credo und Agnus Dei unvollendet gebliebenen c-Moll-Messe KV 427, kurioserweise uraufgeführt 1785 im Rahmen eines Benefizkonzerts im Wiener Burgtheater! Der vielleicht von seinem berühmten Trilogie-Librettisten Lorenzo da Ponte verfasste italienische Text wurde genau auf die Teile des Kyrie und Gloria übertragen und durch zwei freie Arien sowie diverse Kadenzen ergänzt. Diese sind möglicherweise dem Umstand zu verdanken, dass als Solisten die geläufigen Kehlen von Caterina Cavalieri und Johann Valentin Adamberger zur Verfügung standen, die bereits die beiden Hauptrollen in Mozarts „Entführung aus dem Serail“ erfolgreich aus der Taufe gehoben hatten.

 

Das rund 40-minütige Werk besticht durch seine gute Balance zwischen barockem Glanz der von Hörnern, Posaunen und Pauke ummantelten Chor- und Ecksätze und den durch reichen Einsatz der Holzbläser bestimmten kammermusikalischen Passagen. Vor allem in den beiden Zusatzarien wie auch in manch geschärfter Chorgrundierung ist der Opernkomponist Mozart nicht weit entfernt. Der vokalreiche italienische Text unterstreicht dabei noch den seligen Fluss der Melodien und wird von der erfreulich jung besetzten Nürtinger Kantorei mit ausgewogenen Stimmgruppen zumindest phasenweise prägnant artikuliert, soweit das unter kirchenakustischen Bedingungen überhaupt beim Zuhörer ankommt. Generell schlägt sich der hellwache und sensibel reagierende Zugriff auf beide Werke durch den Dirigenten Michael Čulo in einer Leistung nieder, die in ihrem dynamischen Reichtum und der Transparenz des Vortrags weit über das durchschnittliche Niveau eines Laienchores hinausgeht. Egal ob das Fundament der Bässe oder der Gegenpol der führenden Soprane – hier hatte alles sein rechtes Maß und einen abgerundeten Gestus. Es wurde hörbar an Details gefeilt, ohne den Zusammenhalt zu verlieren. Da haben der Dirigent und seine Frau Angelika Rau-Čulo exzellente Einstudierungsarbeit geleistet, spürbar getragen von ehrgeiziger Ambition und Liebe zur Musik.

 

Streicher und Bläser reagierten aufmerksam aufeinander

 

An diesem professionellen Klangbild hatte das 1999 gegründete Orchesterensemble Il Capriccio – überwiegend jüngere studierte Musiker mit weitreichenden Erfahrungen in der historischen Aufführungspraxis – entsprechenden Anteil. Streicher und Bläser reagierten aufmerksam aufeinander und verbanden technisches Können und Ausdruckswillen zu lebhaft tonschönem Spiel.

 

Offensichtlich waren sich die Veranstalter im Klaren darüber, dass für die teilweise extrem schwierigen Solopartien nur Interpreten in Frage kommen, die der erforderlichen Technik gewachsen sind. Dass mit der Verpflichtung der beiden Sopranistinnen Lydia Kucht (Stimmbildnerin der Kantorei) und Fanie Antonelou sowie des Tenors Daniel Jenz dazu noch ausgesprochen attraktiv timbrierte, einen kultivierten Vortragsstil pflegende und seelenvoll beteiligte Sänger gewonnen wurden, krönte noch dieses Konzert zum Ohrenschmaus. Der lichte und bis in stratosphärische Höhen reine Glanz der Koloraturen der Ersten Sopranistin, der etwas geerdetere, nicht weniger Liebreiz aufweisende Klang der Fachkollegin und der wortdeutliche, aber nicht überakzentuierte, zwischen den Registern bruchlos intonierende Tenor wurden höchsten Ansprüchen gerecht. Und weil sich Lydia Kucht in der großen Arie Nr. 8 mit ihren virtuosen Kadenzen so gut wie ganz von den Noten löste, wandelte sich die Kirche für ein paar Minuten gar zur Bühne mitreißender Affekte. Zu Recht gab’s begeisterten Applaus für ein Konzerterlebnis, das schon vor dem ersten Advent die Lichter zum Leuchten brachte.

 

NTZ, 28.11.2012